Der Soziologe Hartmut Rosa hat eine ganz einfache Antwort: „Im Einzelnen zeigt sich nur, dass im Ganzen etwas nicht stimmt.“ Wenn Krankenkassen Yoga und autogenes Training bezahlen, zur inneren Entschleunigung, dann mag das zwar kurzfristig helfen, insgesamt verschlimmert es das Problem sogar.
Hartmut Rosa: „Ich nenne das auch funktionale Entschleunigung, weil die Idee dahinter natürlich oft ist, ich muss mich richtig gut erholen beim Yoga oder zwei Wochen im Kloster im Sommer, damit ich danach wieder leistungsfähiger, kreativer, innovativer und letzten Endes noch schneller bin. So dass man sagen kann: Eigentlich sind das nur Versuche das Hamsterrad oder das Beschleunigungsspiel noch erfolgreicher zu treiben. Häufig gelingt das aber auch nicht, weil man eben nicht auf Knopfdruck runterfahren kann oder ein anderes Zeitverhältnis, so dass für viele abends die Yogastunde oder das Meditieren noch ein weiterer Eintrag auf der To-Do-Liste wird und letzten Endes eine Form annimmt, wie alle andere Tätigkeiten auch.“
Klingt frustrierend. Das Hamsterrad der modernen Gesellschaft dreht sich, angetrieben von Wachstumszwang und Wettbewerb nahezu zwangsläufig immer schneller. Viele macht das dann eben unzufrieden und krank. Und keiner kann bremsen?
„Geld und Glück, das ist etwas, über das die Menschen sich permanent Gedanken machen. Auch Wirtschaftswissenschaftler. Und natürlich gibt es eine Verbindung zwischen Geld und Zufriedenheit. Wirklich arme Menschen sind unglücklicher, gestresster als Menschen, die Geld haben. Menschen, die nicht genug zu essen haben, keine Wohnung, keine ausreichende medizinische Versorgen, sagen natürlich, dass sie weniger glücklich und zufrieden sind, als Menschen, die diese Grundbedürfnisse gestillt haben. Aber das war es dann auch schon mit der Verbindung zwischen Lebenszufriedenheit und Geld. Nach unseren Untersuchungen scheint es keinen Unterschied zu machen, ob man genug Geld hat oder richtig viel Geld.“
Nur – wie viel ist genug und wann? In einer Wachstumswirtschaft heißt die Antwort: NIE!
Es kann und muss immer noch mehr und noch besser gehen. Auch der Mensch selbst: Multitasking, Selbstoptimierung, Perfektionismus.
Die einzige Konstante scheint die permanente Veränderung zu sein. Das ist aber nicht das, was Menschen zufrieden macht. Psychisch gesund erhält die Botschaft „Du bist ok und es ist gut wie es ist.“
Und wer streckt nun den Fuß aus dem Hamsterrad zum Bremsen? Das kann vermutlich doch nur jeder für sich selbst.
Der bereits in diesem Blog oft zitierte Prof. Niko Paech (Uni Oldenburg, Lehrstuhl für Produktion & Umwelt) präsentiert eine logische Lösung, um Zeitmangel und Stress zu reduzieren: Von allem weniger!
Weniger konsumieren. Weniger arbeiten. Das klingt einfach, ist es aber nicht. Denn Dinge, Dienstleistungen und Erlebnisse zu konsumieren, heißt auch „dazu zu gehören“ (→Blogbeitrag „Besitz als Identitätsstifter“) und sich gut zu fühlen.
Niko Paech: „Wir kaufen Produkte, weil durch diese Produkte zum Ausdruck gebracht wird, wer wir sind, wer wir sein wollen oder wie wir in der für uns relevanten sozialen Struktur zur Kenntnis genommen werden wollen. Diese identitätsstiftende Funktion der Konsumgüter führt dazu, dass wenn jemand weniger konsumiert, als die Menschen zu denen man anschlussfähig sein will, dann hat man ein soziales Problem, kein ökonomisches. Es gibt auch eine emotionale Konsumfunktion: Jeder Konsumakt kann dazu führen, dass wir so etwas wie einen Erlebniserfolg bei uns selber erzielen. D.h. wir steigern unsere Emotionen. Wir befriedigen Neugier, Spieltrieb oder auch die Idee durch Konsumgüter mächtiger zu werden, freier zu werden. Und von diesen Erlebnissen, von diesen emotionalen Stimuli kann man süchtig werden. Genau so wie von einer Droge.“
Konsum als Droge. Der Volkswirt empfiehlt eine Entziehungskur ;-), weil das auf Steigerung und Wachstum aufbauende Gesellschaftssystem seiner Meinung nach nicht nur ein ökologische sondern eben auch eine psychologische Krise auslöst.
Und letzteres ist aller Orten spürbar!
Bleibt menschlich!
Iris
P.S. Bereits veröffentlichte Beiträge zum Thema „Entschleunigung“:
Freizeit ≠ Muße ≠ Faulheit
Das Phänomen der Zeitnot
Die westliche Arbeitsmoral – eine christliche Tugend?
Selbstoptimierung
Muße will eingeübt sein
“Leistungsdruck: Ein Hoch auf die Faulheit”
Je schneller, desto reicher
Zwei Minuten Nichtstun
Macht uns ein schnelleres Leben krank?
Raum für Nichtstun – weniger wollen
Nichtstun – das kann man lernen.
„Nichtstun – weniger wollen“ muss man sich leisten können.