Je schneller, desto reicher

Robert Levine (amerik. Zeitforscher, ja, gibt es wirklich ;-)!) hat bereits in den 90er Jahren die Lebensgeschwindigkeit in verschieden Ländern untersucht (→ Wir sind süchtig nach Geschwindigkeit) und hat festgestellt, dass es ein Zusammenhang zwischen Lebenstempo und materiellem Wohlstand existiert: Je reicher, desto schneller und umgekehrt. 

 Je reicher eine Gesellschaft ist, desto schneller lebt sie. Desto knapper ist die Zeit. Für ein zufriedenes Leben brauchen wir aber genug von beidem.

Levine nennt auch einen ziemlich genauen Zeitpunkt in der Geschichte, in dem das Phänomen „Stress durch Zeitdruck“ erstmals aufgetreten ist: Es war vor 200 bis 250 Jahren, als das Leben in weiten Teilen Europas und in Nordamerika deutlich mehr Tempo bekam. Mit der Industrialisierung kam das Hamsterrad in Schwung. Auch die Uhren wurden nun wichtig. Als Zeitmesser und als Zeichen, dass man pünktlich ist. Pünktlichkeit wurde plötzlich eine Frage der Moral. Zeit wurde zum wertvollen Rohstoff. Seine Zeit gut zu nutzen, möglichst besser als die anderen zu sein, wurde zur wichtigen Regel.

Zeitdruck ist allgegenwärtig. Ausgelöst durch die Steigerungslogik des Wirtschaftssystems.

Der Soziologe Hartmut Rosa beschreibt diese Beschleunigung sehr treffend als ein „Rennen auf rutschenden Abhängen“, denn die Idee, immer mehr in immer kürzerer Zeit zu erledigen, bestimmt auch unser Privatleben. Menschen haben immer mehr das Gefühl, dass sie immer schneller laufen müssen, um „auf dem Laufenden“ zu bleiben, um Ihren Platz zu halten. Beispielsweise mit To-Do-Listen voller Terminen. Und abends liegt man im Bett mit schlechtem Gewissen, weil wieder nicht alles abgehakt ist.

Der Zeitforscher Levine glaubt, dass wir eine etwas andere Sicht auf die Zeit brauchen: „Ich hatte einen Studenten aus Ostafrika. Dem wurde von seinen Mitstudenten Zeitverschwendung vorgeworfen: Du hast doch morgen eine Prüfung und nun sitzt Du heute hier mit uns rum, statt noch mal zu lernen. Und er hat erwidert, dass man Zeit gar nicht verschwenden kann. Das geht gar nicht, weil immer etwas passiert. Tut man das eine nicht, geschieht eben das andere. Wenn überhaupt, besteht die Zeitverschwendung darin, dass man zu viele Pläne macht. Zu eng plant. Da ist dann keine Zeit mehr für spontane, schöne Dinge. Die Zeit auf der Uhr kontrolliert dann dich, statt dass du die Zeit unter Kontrolle hast.“

Die Konsequenz dieser Schlussfolgerung „Je schneller, desto reicher und umgekehrt“: Für all diejenigen, die sich nun für mehr Entschleunigung, sprich: Muße, entscheiden, bedeutet das dann logischerweise „weniger reich“ (an Materie wohl gemerkt!). Nur eines kann ich Euch aus eigener Erfahrung sagen: Die Lebensqualität steigt enorm! Und das ist in meinen Augen der echte Reichtum. Aber das muss nun mal jeder für sich selbst erfahren und – vor allem erspüren und genießen ;-).

(Basis für diesen Beitrag: Podcast RadioWissen „Immer mehr, immer schneller – Warum weniger für die Gesellschaft oft mehr ist)

Bereits veröffentlichte Beiträge zum Thema „Entschleunigung“:
Freizeit ≠ Muße ≠ Faulheit
Das Phänomen der Zeitnot
Die westliche Arbeitsmoral – eine christliche Tugend?
Selbstoptimierung
Muße will eingeübt sein
“Leistungsdruck: Ein Hoch auf die Faulheit”

Folgende Beiträge dazu sind noch in der Pipeline:
24.12. Zwei Minuten Nichtstun
25.12. Macht uns ein schnelleres Leben krank?
28.12. Selbst Schuld oder Fehler im System?

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