Die westliche Arbeitsmoral – eine christliche Tugend?

Warum fällt es uns so schwer faul zu sein? Dieser Frage geht Prof. Manfred Koch in seinem Buch Faulheit. Eine schwierige Disziplin aus kulturhistorischer Sicht nach. Im folgenden Beitrag zitiere ich Passagen eines Interviews mit Prof. Koch. Komplett zum Nachhören hier

Die gesellschaftliche Ächtung der Faulheit – immer im Sinne von Muße (→Blogbeitrag Freizeit ≠ Muße ≠ Faulheit) – ist zwar ein neuzeitliches Phänomen. Aber die Wurzeln, so Prof. Koch, liegen auch maßgeblich in unserer christlich geprägten Kultur:

In der Genesis 3, also die berühmte Geschichte von der Vertreibung aus dem Paradies, da ist der Mensch schlagartig zur Arbeit verdammt worden. Adam und Eva haben gesündigt und haben vom Baum der Erkenntnis gegessen. Werden dafür vertrieben und dann heißt es ja in dieser berühmten Passage im 1. Buch Mose, dass der Mann ab jetzt im Schweiße seines Angesichts den Acker bestellen muss und die Frau unter Schmerzen gebären. Aber natürlich auch sonst arbeiten muss. Also das wäre sozusagen ein historischer Einschnitt, jedenfalls in der Mythologie. Und in gewisser Weise muss man sagen, ist die christliche Religion eine Arbeitsreligion. Sie finden beispielsweise im Neuen Testament diesen berühmten Satz im Paulus-Brief an die Thessaloniker: ‚Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.′ Auf der anderen Seite gibt es auch eine Geringschätzung der Arbeit in der Bibel: Christus hat seine Jünger von der Arbeit wegberufen und hat das Kontemplative der Religion, das rituelle Leben, als das eigentliche ausgezeichnet. Also das ist doch eine widersprüchliche, also zweischneidige Angelegenheit. (…)

Es gibt einen berühmten Text ‚Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus′ von Max Weber, eigentlich dem Begründer der deutschen Soziologie, in der er die These aufstellt, dass es vor allem der Protestantismus war, der dann auch diese sprichwörtlich ‚protestantische Arbeitsmoral′ hervor gebracht hat. Und bis zu einem gewissen Grad kann man das auch tatsächlich unterschreiben, dass sich vor allem in calvinistischen Kulturen dieser extreme Arbeitsethos durchgesetzt hat. (…) Und das gerade in den USA, dem Land, das ursprünglich von Puritanern bevölkert wurde, zu einer allgemeinen Arbeitsbesessenheit geführt hat. Also die Gesellschaft, die mit Sicherheit am stärksten von dieser calvinistischen Arbeitsbesessenheit geprägt ist, das ist natürlich die Gesellschaft der USA, die ursprünglich ja von puritanischen Auswanderern begründet wurde und da kann man das im Grunde ja heute noch sehr gut verfolgen. Auch die Verknüpfung von Religiosität und Arbeitsmoral. Also die Vorstellung, dass, wer nicht gesellschaftlich durch seine Arbeit erfolgreich ist, dann gewissermaßen auch nicht von Gott ausgezeichnet wird.

Ein – wie ich finde – durchaus interessanter Aspekt …

Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) meinte dazu bereits vor mehr als 250 Jahren (Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechtes, 1762):

Freilich ist es für den Staat sehr bedeutsam, dass jeder Staatsbürger seine Religion habe, die ihn seine Pflichten lieben lässt.

Und in seinem Werk Über die staatsbürgerliche Religion kam er zu folgender, recht drastischen Interpretation:

 Das Christentum predigt nur Knechtschaft und Unterwerfung. Sein Geist ist der Tyrannei nur zu günstig, als dass sie nicht immer Gewinn daraus geschlagen hätte. Die wahren Christen sind zu Sklaven geschaffen.

Sind wir dann heute die modernen Sklaven geworden?

Prof. Koch beantwortet es wie folgt: Ja.(..) Wir sind eigentlich übergegangen zu einer Selbstversklavung unglaublichen Ausmaßes. Also eine Tyrannei, die wir uns selber durch unsere Arbeitswilligkeit, unsere Arbeitsbesessenheit auferlegt haben. Heute sind es diese ganzen Bereiche, wie Selbstmanagement, Selbstoptimierung, in der wir uns mehr und mehr auch verwandeln in ein ‚quantified self‚, also dass wir uns mehr und mehr als Datenmenge erfassen, die man (…) eben durch Messung noch steigern kann.

So sind wir auf dem besten Weg noch leistungsfähigere Subjekte zu werden. Und das ist natürlich eine Form von Sklaverei – von Selbstsklaverei.

Auch hierzu wurde ich bei Rousseau fündig (Quelle: Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechtes, 1762):

Der Mensch wird frei geboren, und überall liegt er in Ketten. Mancher hält sich für den Herrn seiner Mitmenschen und ist trotzdem mehr Sklave als sie.

P.S. Bereits veröffentlichte Beiträge zum Thema Entschleunigung:
Freizeit ≠ Muße ≠ Faulheit
Das Phänomen der Zeitnot

Folgende Beiträge dazu sind noch in der Pipeline:
16.12. Selbstoptimierung
18.12. Muße will eingeübt sein
20.12. “Leistungsdruck: Ein Hoch auf die Faulheit”
22.12. Je schneller, desto reicher
24.12. Zwei Minuten Nichtstun
25.12. Macht uns ein schnelleres Leben krank?
28.12. Selbst Schuld oder Fehler im System?

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