Die Notwendigkeit eines Wertewandels hin zum menschlichen Maß beinhaltet viele Aspekte.
Einer der wichtigsten ist ohne Zweifel der der begrenzten Ressourcen auf unserem Planeten. Und die Tatsache, dass wir, wenn wir nicht schleunigst unser Handeln an die bereits gewonnenen Erkenntnisse anpassen, den Kürzeren ziehen werden. (Kein Angstszenario – reine Faktenlage!).
„Vielleicht werden sich kommende Generationen mit Verwunderung an eine relativ kurze Phase in der Geschichte der Menschheit erinnern, in der ständiges Wirtschaftswachstum für möglich und nötig gehalten wurde.“ (Horst Köhler, ehem. Bundespräsident)
Ich wünsche mir, dass er Recht behält. Soviel vorab.
Fast gebetsmühlenartig wiederholen alle Parteien und nicht nur in Deutschland, dass das Wirtschaftswachstum die allein selig machende Lösung für alle bestehenden Probleme ist.
Ein Gesellschaftssystem, das davon ausgeht immer weiter expandieren zu können auf einen endlichen Planeten, ist aber zwangsläufig zum Scheitern verurteilt. Sorry, das ist gesunder Menschenverstand!
Ökonomie versus Ökologie – ein Dilemma, das bisher recht einseitig gelöst wurde – zu Gunsten des Wirtschaftswachstums. Und: solange gedanklich ein versus da steht und nicht ein im Rahmen von, ist und bleibt es ein Dilemma! (→Grafik im Blogbeitrag „Was kommt nach dem Wachstum?„)
Allerdings ahnen bereits viele von uns, dass es nicht ewig so weiter gehen kann. Schon heute verbrauchen wir 50% mehr Ressourcen als sich erneuern kann! Chinesen, Inder, Brasilianer haben hier noch gar nicht angefangen zu konsumieren! (→Blogbeitrag „3 Erden für die Europäer – 5 für die Amerikaner„)
Harald Welzer, Sozialpsychologe und Professor für Transformationsdesign an der Uni Flensburg: „Man muss sich schlicht und ergreifend mit den Realitäten konfrontieren, dass die Fortsetzung dieser Form von Wachstumswirtschaft die Überlebensbedingungen mittelfristig zerstört.“
Der Kern der wachstumskritischen Debatten ist es, Konzepte für eine Wirtschaft zu entwerfen, die einerseits zwar nicht ständig wachsen muss, in der aber andererseits die Lebensqualität der Menschen erhalten bleibt. Wohlstand ohne Wachstum?!
Aber wie soll das gehen?
Indem wir Wohlstand NICHT mit Konsum verwechseln! (→Blogbeitrag „Neue Formeln für die Zukunft“)
Das bedeutet im Klartext: Bewusstseinswandel! Hier ist jeder einzelne von uns gefordert ;-). (→Blogbeitrag „Wachstum ≠ Entwicklung„)
Die Form des Wirtschaftswachstums, so wie wir es momentan als selbstverständlich erachten, ist ein relativ junges Phänomen, nämlich erst seit der industriellen Revolution, Mitte des 18. Jhd. Hier leiten die technischen Erfindungen den Umbruch in der Arbeitswelt ein. Der Wachstum beginnt: das der Wirtschaft und das des CO2-Ausstoßes.
In seinem Buch „Wohlstand für alle“ schreibt Ludwig Erhard bereits 1957: „Wir werden sogar mit Sicherheit dahin gelangen, dass zurecht die Frage gestellt wird, ob es noch immer nützlich und richtig ist, mehr Güter, mehr materiellen Wohlstand zu erzeugen oder ob es nicht sinnvoller ist unter Verzichtleistung auf diesen Fortschritt mehr Freizeit, mehr Besinnung, mehr Muße und mehr Erholung zu gewinnen.„
Damals blieben Erhards kluge und zukunftsweisende Überlegungen weitgehend unbeachtet. Die Wachstumsparty ging da erst richtig los ;-)!
Der Club of Rome veröffentlichte dann Anfang der 70er Jahre den Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ (→Blogbeitrag „Die Grenzen des Wachstums„) Eine ständig wachsende Wirtschaft werde letztendlich zum ökologischen Kollaps führen, warnten die Wissenschaftler also schon vor rund 40 Jahren. Und jetzt ist es endlich wieder ein Thema!
Besonders hinderlich für die Lösung ist jedoch die Tatsache, dass unser Wirtschaftssystem momentan noch ausschließlich Messgrößen vorsieht, die sich in Geld beziffern lässt. Die Maßzahl für die wirtschaftliche Leistung eines Landes ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP).
Das BIP ist jedoch kein wirkliches Maß für unsere tatsächliche Lebensqualität.
Und klar ist aber auch, wie wichtig eine intakte Umwelt für unsere Zufriedenheit (und letzten Endes unser Fortbestehen!) ist. (→Blogbeiträge „Heute noch BIP – morgen schon Happy Planet Index?!„, „Drogenhandel bald im BIP„)
Und gerade bei ökologischen Katastrophen werden die eklatanten Schwächen des BIP besonders deutlich. Denn es berücksichtigt nur Güter die verkauft werden, also Konsumgüter, die in Marktpreisen bewertet werden können.
Die Umwelt hat aber kein Preisschild.
Ein Beispiel:
Wenn eine Ölplattform leck schlägt und tonnenweise Öl ins Meer fließt, dann ist das erst einmal gut für das BIP. Denn Aufräumarbeiten müssen bezahlt, Chemikalien müssen gekauft werden, um das Öl in Schach zu halten. Die verendeten Meerestiere und die verunreinigten Strände haben jedoch keinen Einfluss auf das BIP. Bisher gibt es keine Messgrößen, die Schäden an der Natur, der Umwelt in irgendeiner Weise als solches bewerten! (Und da ist die Politik aufs Schärfste gefordert! Aber die Natur hat keine einflussreiche Lobby! Nur engagierte Aktivisten.)
Erst wenn die Touristen ausbleiben und die Fischer keine Fische mehr fangen, dann hat das wieder – in diesem Fall negative – Auswirkungen auf das BIP. Und dann erst wird vermehrt gehandelt.
Es können also in unserer bestehenden Gesellschaftsordnung Ökosysteme kaputtgehen und Arten aussterben und dennoch steigt das Bruttoinlandsprodukt und die Regierungen können sich als erfolgreich feiern lassen. Gleichzeitig ziehen wir uns aber genau mit diesen „Erfolgsstrategien“ den Boden unter den Füßen weg…
Meine Forderung daher: Die Maßnahmen der Politik und der Wirtschaft müssen endlich dem Menschen dienen und nicht in erster Linie Geld bezogenen Messgrößen wie dem Bruttoinlandsprodukt. Denn ganz abgesehen davon, dass die Zahl nichts über den wirklichen Zustand einer Gesellschaft aussagt, ist das Zustandekommen solcher Zahlen sowieso mit Vorsicht zu genießen. Das wissen wir ja spätestens seit dem ADAC-„Skandal“ ;-)!
Menschlich geht anders…
Iris
Hallo Iris,
du fasst das, was mit dem irrwitzigen Wachstum auf Kosten der Umwelt und der Zukunft unserer Kinder schief läuft, sowie die Herausforderung, vor der wir stehen, wunderbar zusammen.
Im Juli bin ich im München auf einer interessanten Veranstaltung des isw – Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e.V. gewesen – mit dem Titel „Ist Wohlstand ohne Wachstum möglich?“.
Im Veranstaltungsflyer stand:
Die Diskussion war sehr interessant, zum Teil auch kontrovers. Einen Teil der Problematik kannst du nachlesen in meinem Beitrag auf unserem Blog NachDenken in München sowie den nachfolgenden Kommentaren.
Auf Grund der sich verschärfenden Umverteilungsproblematik haben nämlich viele, von denen die Veränderung ausgehen könnte, schlichtweg Angst. Um den Arbeitsplatz. Um den Platz in der Gesellschaft. Und Angst ist nun mal ein schlechter Ratgeber. Wir brauchen also eine überzeugende alternative Erzählung, wie unsere Zukunft solidarisch und mit menschlichem Maß gelingen kann.
viele Grüße
Andreas
Lieber Andreas,
danke für den Verweis auf Euren Blog. „Miteinander anstatt gegeneinander“ muss unsere Leitmaxime der Zukunft werden. Denn Konkurrenzdenken hat uns mit dahin geführt, wo wir heute stehen. Denn das Vertrauen untereinander ist verloren gegangen. Und mangelndes Vertrauen schürt ebenfalls Ängste. Aber das ist meines Erachtens auch so gewollt … (siehe auch den Blogbeitrag „Divide et impera„). Nur wenn wir uns zusammen tun und das auch nach außen tragen, bekommen die vielen Gleichdenkenden in unserer Gesellschaft endlich auch eine Stimme und Einfluss. Der ist bitter nötig, dass eben die von Dir genannten Angstmechanismen nicht mehr so stark greifen können. Denn wenn man sich unterstützt fühlt, verleiht einem das mehr Sicherheit und man beginnt auch etwas mutiger zu werden…
Und eines ist ganz klar: Mut braucht’s! Aber nur im ersten Moment. Wenn man sich aber auf die neuen Wertekategorien einlässt (siehe u.a. Blogbeitrag „Neue Formeln für die Zukunft„), wird sich relativ schnell ein ungeahntes Gefühl des (unspektakulären, aber langfristigen) Glücks und der Freiheit einstellen, das eben nicht mit Geld zu bezahlen ist…
Dass man ab diesem Moment nicht mehr „Everbody’s Darling“ sein kann, das ist vielleicht am schwierigsten zu leben, aber dafür müssen wir uns ja auch so dringend outen und vernetzen ;-).
Menschliche Grüße
Iris
Liebe Iris,
ja, es ist wichtig sich zu vernetzen und gemeinsam über Utopien zu reden, sich darüber zu verständigen. Aber auch das ist leider nicht so einfach. Ich habe es nicht glauben können, aber das Wort Ellenbogengesellschaft war bereits 1982 Wort des Jahres, und genau das hat Lambsdorff mit seiner Wende hin zur CDU/CSU eingeleitet. Eine Gesellschaft, die zunehmend weniger im „Wir“, dafür aber im „Ich“ denkt. Beispielsweise Ich-AG, Selbstoptimierung, letztlich erschreckende Konzepte, um die Konkurrenz unter uns Menschen anzuheizen und das Miteinander zu vergiften.
Aber wir müssen uns auf diesen Weg begeben, wieder solidarisch miteinander zu sein. In dieser Gesellschaft, in Bezug auf die Menschen, die nicht in einer privilegierten „Wohlstands-“ sprich: Konsumgesellschaft leben, und in Bezug auf unsere Kinder und Enkelkinder.
John Maynard Keynes hat 1930 in „Wirtschaftliche Möglichkeiten für unsere Enkelkinder“ geschrieben:
Tun wir was dafür, dass es etwas weniger als 100 Jahre dauert. Fangen wir an, einander zuzuhören und das Gemeinsame zu finden. Das wird nicht ganz einfach werden, denn fast jede/r hat ja heute seine bzw. ihre Wahrheit. Wir haben da eine Menge zu lernen, uns von vielem Eingefahrenen zu verabschieden. Aber dieser Prozess ist notwendig.
viele Grüße
Andreas