Schöne neue Welt.

In meinem Denkanstoß Was das Geld im Kopf anstellt ging es um die unterbewusst ablaufenden instikthaften Verflechtungen der menschlichen Urbedürfnisse mit Geld in unserem Gehirn. Dies erklärt uns einmal mehr seinen unangefochtenen Platz 1 auf der Motivationsskala unserer Konsumgesellschaft ;-). 

Das ist logischerweise nicht erst seit gestern so, sondern das Ergebnis einer sukzessiven Entwicklung über viele Jahrhunderte seit der Einführung von Geld. So weit so gut!

Diese Gier nach mehr, die in unserem Hirn quasi angelegt ist, ist aber in den letzten Jahren – im letzten Jahrzehnt – immer ungebremster verlaufen.

Die Hirnforscher haben hierfür eine Erklärung: Die digitale Technik.

Sie ersetzt immer häufiger den direkten Kontakt zu anderen Menschen und das wiederum beeinflusst unsere Entscheidungen. Die Forscher erklären diesen Prozess am sog. „Eisenbahndilemma“:

Ein Waggon ist in Bewegung und ein fremder Zuschauer sieht, dass dieser Waggon auf 5 Gleisarbeiter zu rollt. Er hat die Möglichkeit, den Waggon über einen Stellhebel umzulenken und dabei nur einen Gleisarbeiter zu töten. Da er keinen von ihnen kennt, entscheidet er sich die 5 zu retten und greift entsprechend „aus der Ferne“ über das Stellen der Weiche ein. Stünde er aber auf einer Brücke und müsste aktiv einen Mann vor den Waggon werfen, um diesen zum Stehen zu bringen, ist die Entscheidung umgekehrt: Da diese eine Person neben ihm auf der Brücke ganz konkret ist, wird er den Tod der 5 „anonymen“ Arbeiter billigend in Kauf nehmen.

Auf die moderne Finanzwelt übertragen heißt das: Früher hat ein Anlageberater seine Kunden noch gekannt. Heute geht das Meiste anonym übers Internet. Hier steht nicht mehr die konkrete Person xy da, die man kennt, bei der es einem peinlich oder unangenehm ist, wenn man ihm einen – teilweise für sein ganzes Leben – entscheidenden Verlust beifügt!

Hier bekommen wir wieder bestätigt, was wir ja eigentlich schon wissen ;-):

Wenn der persönliche Kontakt fehlt, trifft der Mensch ganz andere Entscheidungen.

Einen ähnlichen Effekt haben Kreditkarten. Kaufen wir damit ein, registriert unser Gehirn nicht in dem Masse, dass wir Geld ausgeben. Wir nehmen das Geld nicht in die Hand. Haben also keinen sinnlichen Reiz und der Geldbeutel bleibt ja auch unverändert voll ;-). D.h. das Zentrum, das für die Verlustangst zuständig ist, meldet sich nicht. Das Belohnungszentrum aber bekommt den gewünschten Kick: Es hat etwas Reales, Fassbares!

Ob beim virtuellen Anlageberater oder dem Einsatz von Kreditkarten: Die emotionale Distanz zum Kunden oder zu den Kosten des Einkaufs unterdrückt warnende Signale unseres Gehirns! Das Belohnungszentrum hat freie Bahn und das umso mehr alles unter Zeitdruck passiert!

Denn es sind gerade die akuten Belohnungen, die unser Belohnungssystem aktivieren. Sobald etwas aber in die Zukunft verschoben wird, fällt diese Aktivierung quasi weg bzw. wird stark vermindert. Dieses wird dann viel stärker über die Ratio abgehandelt und bewertet.

Wie können wir also der Stimme der Vernunft in unserem Gehirn mehr Gewicht verleihen?

Die Antwort lautet:

Zeit zwischen geldrelevante Entscheidungen bringen! Und die Überlegung:  „Was brauche ich wirklich?“ 

Die aufgezeigten Mechanismen machen deutlich, dass es vor allem in unserer „schönen neuen Welt“ zunehmendes Bewusstsein braucht und Willensstärke, um den Wertewandel hin zum „weniger ist mehr“ erst einmal für sich selbst zu realisieren ;-).

Doch eines bleibt unbestritten: Die menschliche Persönlichkeit ist mehr als die Summe Ihrer Hirnfunktionen! Und deshalb bin ich davon überzeugt, dass JEDER, DER WILL, etwas ändern kann! Egal wie stark das Belohnungszentrum nach MEHR giert ;-).

Bleibt menschlich!

Iris

P.S. Diesen Artikel habe ich auf Basis eines podcasts von BR 2 RadioWissen verfasst.
Hier könnt Ihr ihn in voller Länge anhören: Was das Geld im Kopf anstellt.

2 Gedanken zu „Schöne neue Welt.

  1. Daniel

    Ja ja, das liebe Geld, die ewige Jagd nach dem „schnöden“ Mammon. Vielleicht eines der größte Paradoxon der heutigen Zeit. Weil man es denn nun einfach einmal braucht, dass man um die berühtem Runden kommt. Um die nächste Kühlschrankfüllung bezahlen zu können. Um im Winter nicht frieren zu müssen. Und und und – die Liste ist unendlich, und zeigt uns, dass es ohne „Geld“ einfach mal nicht geht. Aber ich glaube, dass dieser Umstand auch nicht das Problem ist, deshalb habe ich bis jetzt bewusst die Formulierung „leider“ vermieden.
    Viel mehr glaube ich, dass der Vergleich, der einerseits im persönlichen Umfeld, und anderseites auch im beruflichen und gesellschaftlichen Umfeld, das eigentliche Problem ist bzw. die „Geldprobleme“ heraufbeschwört. Was hat der, was ich nicht habe? Und wieso hat er das, und ich habe das nicht? Genau diese Vergleiche, die manchmal bewusst, aber vielleicht viel öfter gar noch unbewusst passieren, könnten das Problem sein. Man sollte viel öfter zufrieden sein mit dem Erreichten, sich auch einfach mal (länger) über das Erreichte freuen, und nicht immer sofort nach dem nächsten Streben. Gerade dann, wenn die Motivation dazu nicht aus einem selbst gründet, sondern aus den erwähnten Vergleichen. Geld ist wichtig, ja. Weil man ohne Geld sein Dasein in der heutigen Zeit kaum fristen kann. Aber zu viel Geld ist nicht zu wichtig, im Endeffekt ist es ein Tauschmittel und sonst nichts. Und gerade dieser maßvolle Umgang und diese Erkenntnis wird – auch und gerade wegen den humantären Herausforderungen, die uns tagtäglich beschäftigen (sollten) – vielleicht ein wichtiger Baustein im Umgang mit „Geld“.
    An dieser Stelle fällt mir noch ein Zitat ein, dass ich in einem Interview mit dem Dalai Lama einmal gehört habe (ich glaube Werner Schmidbauer hat dieses geführt). Der Dalai Lama erzählte dabei von einem Staatsbesuch in Frankreich, als er mit dem damaligen französichen Präsidenten durch Paris durch die Champs Elysees fuhr, und sie sich die ganzen Geschäfte angeschaut haben. Der Dalai Lama hat dabei immer nur vor sich hingelächelt und gekichert. Auf die Frage des Präsidenten, warum er denn lache, sagte er nur: „So viele Dinge, die ich nicht brauche“. Eine einfache und zugleich wahrscheinlich extrem schwere Erkenntnis…

    Antworten
  2. dilettanti Beitragsautor

    Die Erkenntnis als solche ist leicht, aber der Weg dorthin ist schwer ;-))) Wie wahr! Wie wahr! Aber der zentrale, den unsere Gesellschaft vor sich hat!

    Und das Thema „Geld als Tauschmittel“ und was daraus inzwischen geworden ist, ist auch ein Stoff für einen kommenden Bericht… 😉

    Dank Dir!

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert