Ein Plädoyer für mehr Sinnlichkeit

Der Begriff Sinnlichkeit ist in unserem heutigen Sprachgebrauch fast ausschließlich auf den erotischen Sektor reduziert und im Alltag als solches kein Thema. In der Erotik hat sie ja auch eine zentrale Bedeutung. (Leider verliert sie in Zeiten von Internet-Kontaktportalen und Cybersex auch hier immer mehr an ihrem ursprünglichen Reiz.) Doch Sinnlichkeit umfasst weit mehr. Ist sie doch ein elementarer Bestandteil unseres Menschseins.

Denn wir Menschen haben Sinne. Mit diesen Sinnen erfahren wir zunächst uns selbst. Durch sie können wir aber nicht nur mit uns selbst in Beziehung gehen. Unsere Sinne sind es, die es uns ermöglichen, mit anderen bzw. unserer Umwelt – unserer „Mitwelt“ (wie es so treffend in der Tiefenökologie heißt) – in Kontakt zu kommen.

Sich mit seinen Sinnen – seiner Sinnlichkeit, zu befassen und diese zu pflegen, hat also nicht nur Vorteile für uns selbst, es kommt auch unseren Mitmenschen und unserer Umwelt zu gute: 

Ein besseres Verständnis meiner Sinnlichkeit, verbessert auch den Blick auf meine Mitmenschen. Ich werde fähiger mich anderen zuzuwenden. Aus einem guten Verhältnis zur „Natur in mir“ ergibt sich auch ein besseres Verhältnis zur Natur im außen – mit mehr Achtsamkeit und Bewusstheit. Auch eine Angelegenheit von immer größer werdenden Brisanz.

Das Thema bekommt für mich seine besondere Bedeutung vor allem angesichts einer immer dominanter werdenden Virtualisierung und Verkünstlichung in allen Bereichen unseres Lebens und unserer Gesellschaft. Wo bleibt hier die „wahre“, im Sinne von: echte, reale Menschlichkeit?

Es ist die Kombination unsere Sinne – unsere Sinnlichkeit, die uns allein von Computern und Robotern unterscheidet. Es gilt sie also zu pflegen!

Die Sinne pflegen? Was heißt das?

Auf der körperlichen Ebene:

Sehen, aber genau hinsehen. Vielleicht sogar einfach stehen bleiben und nur schauen: Die Wolken, eine Blume, ein Tierchen, ein schönes Muster. Hören, aber nicht durch Ohrstöpsel aus der Konserve. Auch mal alles hören, wahrnehmen. Schmecken. Welch ein Genuss! Sich mal einlassen auf möglichst einfache, naturbelassene Lebensmittel (hier ist „Lebens“-Mittel wörtlich gemeint, in Abgrenzung zu „Nahrungs“-Mittel! Da liegen nämlich Welten dazwischen). Sich Zeit lassen beim Kauen. Merken, wie unsere Geschmacksknospen jubilieren. (Ja, das können die!) Riechen, oh wie toll! Was gibt es nicht alles für Gerüche! Auch ganz subtile, „leise“ Gerüche. Düfte – unser direkter Draht ins Unterbewusste. Sich auch echte Gerüche „leisten“: Früchte, Blüten, Gras, Haut, Luft nach einem Regenschauer… Tasten und Fühlen: In unseren Fingerspitzen befinden sich allein 17.000 Fühlkörperchen! Kein Körperteil besitzt mehr Sensoren pro cm2. Berühren und berührt werden: Was gibt es Schöneres?! Die reale Welt – nicht die virtuelle Welt – ist voll von Sinnlichkeit.

Auf der seelischen Ebene:

Hier geht es um Gefühle. Was habe ich für Gefühle? Habe ich nur gute oder auch ungute Gefühle? Kann ich mich auch anfreunden mit diesen unangenehmen Gefühlen? Kann ich sie akzeptieren und damit umgehen? Berührt werden – eine nicht nur körperliche Sehnsucht. Von was oder wem lasse ich mich seelisch berühren oder werde ich berührt? Wie geht es mir damit? Kann ich es genießen oder bin ich gar peinlich berührt?

Auf der geistigen Ebene:

Gedanken. Was mache ich mir für Gedanken? Sind das belanglose Gedanken, sind sie interessant. Sind sie belastend, verwirrend, flüchtig oder sind sie wiederkehrend? Kann ich sie loslassen? Wovon handeln sie? Vom Glück? Was bedeutet Glück für mich? Über den Sinn? Was ist der Sinn in meinem Leben?

Ihr seht, man könnte das endlos fortsetzen.

Und hier kommen wir noch einmal auf die Selbstliebe, denn sie bedeutet letztendlich tiefere Beschäftigung mit uns selbst auf allen Ebenen der Sinnlichkeit. Denn VOR der Selbstliebe steht die Selbst-Annahme und die Selbst-Erkenntnis, das Sich-selbst-Verstehen.

Die (Für-)Sorge um sich selbst geht damit auch mit moralischen Fragen Hand in Hand und ebenso mit der Suche nach Sinn.

Das ist auch der Grund, warum in meiner Vision der Glücksarche die Sinnlichkeit in all ihren Facetten einen besonderen Stellenwert einnimmt. Sie ist integraler Bestandteil meines holistischen Konzeptes: Selbst-bewusst-Sein leben. Körper-bewusst-Sein genießen.

Genießt Eure Sinnlichkeit! Lebt sie aus, denn sie erst macht uns menschlich.

Iris

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