Tiefenökologie: Ökologie – und darüber hinaus.

Jeder gegen jeden, Kampf auf Leben und Tod, „Survival of the fittest“ – so lauten die Schlagworte, die aus dem darwinistischen Mainstream des biologischen Denkens stammen. Und dieses Denken beeinflusst schon längst unser „menschliches“ Gesellschaftssystem weltweit. Mit Auswirkungen, die inzwischen für jeden von uns spürbar sind. 

Ganz anders das Credo der Naturphilosophie, das da lautet: Symbiose statt Konkurrenz. 

Die Tiefenökologie ist ein naturphilosophischer Ansatz, der auf der wechselseitigen Bedingtheit allen Lebens beruht. Diese Denkrichtung gesteht jedem Lebewesen nutzenUNabhängig seinen Eigenwert zu und hat sich zur Aufgabe gesetzt, soziale, kulturelle, ökonomische und ökologische Veränderungen zu bewirken.

Um zu diesem Ziel zu gelangen, möchte die Tiefenökologie im Menschen das Bewusstsein wecken, Teil des Netzwerkes allen Lebens zu sein und als „ökologisches Selbst“ Verantwortung zu übernehmen.

Die Tiefenökologie sieht den Menschen als Teil der Erde bzw. der Ökosysteme, und kein außen stehendes Objekt. Der Mensch ist dabei auch nicht der Mittelpunkt der Natur. So ist hier auch von „Mit-Welt“ die Rede und nicht von „Um-Welt“. Leitgedanke ist die Vereinigung von Denken, Gefühl, Spiritualität und Handeln.

Der Mensch ist gehalten sich insbesondere seiner Rolle als „Bewahrer“ oder „Zerstörer“ seiner eigenen Welt bzw. Lebensgrundlage bewusst zu werden (→Naturschutz = Menschenschutz). Die Tiefenökologie möchte weg von oberflächlichen Antworten bezüglich ökologischer und gesellschaftsrelevanter Probleme, hin zu „tiefer“ gehenden Fragen nach möglichen Veränderungen menschlicher Lebensart.

Diese naturphilosophischen Thesen sind nicht neu. Haben sie doch ihre Wurzeln in den alten Weisheitslehren und Überzeugungen zahlreicher Denker und Philosophen unterschiedlichster Richtungen, von Gandhi bis Giordano Bruno (→Die Weltseele des Giordano Bruno). Aber auch Goethe und Schelling waren glühende Anhänger dieser Denkrichtung. Selbst Hermann Hesse wurde davon zu einem Gedicht inspiriert. (→Dass Gott in jedem von uns lebt.) Und die Ansätze der Suffizienzpolitik (→Suffizienz – was ist das denn?), die eines Ernst F. Schumacher mit Small is beautiful (→Warum der Untertitel ‚Hin zum menschlichen Maß‘?) und die eines Tim Jackson mit Wohlstand ohne Wachstum fügen sich hier ebenfalls bestens ein.

Wie immer ist erst dann griffig damit umzugehen, wenn das „Kind“ auch einen Namen hat und so wurde 1973 von Arne Næss (1912-2009), norwegischer Philosoph, der Begriff „deep ecology“ geprägt und konkretisiert.

Er wollte bewusst in Abgrenzung zur „oberflächlichen“ Ökologie – dem rein „technischen“ Umweltschutz, der sich nur mit dem Anspruch auf eine saubere Umwelt befasst – das Recht auf eine tiefer gehende Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse formulieren.

Dazu stellte Næss ein Gerüst aus acht Grundsätzen auf, die den Menschen als Teil des Erdhaushaltes gewissermaßen auf seine natürliche Größe reduziert.

Jene ethischen Gebote gehen vom gleichen Wert aller Lebewesen aus, von der Notwendigkeit, die Vielfalt des Lebens zu respektieren, von der zu großen Anzahl und Machtfülle des Menschen, von der Notwendigkeit der gesellschaftlichen Neuorientierung und der Verpflichtung zu handeln.

Erst wenn der Mensch sein Leben in Einklang mit dem Ganzen bringe, gelänge ihm die Überwindung seines gespaltenen Bewusstseins, so die Vertreter der Tiefenökologie.

Nicht das ständige Hochschrauben der Lebensstandards, sondern der Zuwachs an Lebensqualität (→Konsum ≠ Lebensqualität u.a.) gebe die Befriedigung, am ganzheitlichen Entwurf für ein besseres und friedlicheres Zusammenleben teilzuhaben.

Sein Höhepunkt ist erreicht, wenn jeder einzelne die gleiche Achtsamkeit den eigenen Belangen wie denen der Natur zufließen lässt und zu einer neuen Wahrnehmung der Welt gelangt.

Einen sehr aufschlussreichen & impulsgebenden Rundfunkbeitrag zum Thema mit dem Titel „Wenn Philosophie praktisch wird“ findet ihr hier. Der Autor Dr. Geseko von Lüpke behandelt darin u.a. folgende Fragestellungen:

Muss die Kultur die gefährliche Überlegenheit der Gattung Mensch bremsen? Stimmt das Weltbild mit dem uns die Wissenschaft das Weltbild erklärt? Folgen wir der richtigen Ethik?

Vielleicht stehen wir gar nicht am Abgrund sondern – gezwungenermaßen – am Beginn einer kulturellen Umorientierung, in der nicht nur unsere Art des Wirtschaftens und Konsumierens in Frage gestellt wird, sondern auch unser Welt- und Menschenbild.

Am Beginn eines neuen Denkens und einer neuen Form von Menschlichkeit!

Genau in diesem Sinne: bleibt menschlich!

Iris

P.S. Hier noch ein Link: Gesellschaft für angewandte Tiefenökologie e.V.

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