Wie schön wäre eine Gesellschaft, wenn wir keine Helden bräuchten, um einfach eine „vernünftige und normale“ – eine menschliche – Gesellschaft zu haben?
Aber es gibt keine Gesellschaft, die so selbstverständlich funktioniert, dass man nicht mehr sozusagen „den Finger krumm machen“ muss.
Jede Gesellschaftsform braucht ihre Helden, da ist sich der Sozialpsychologe Frey, Professor an der Ludwig Maximilian Universität in München, sicher:
Helden sind keine Auslaufmodelle. Helden werden gebraucht. Immer noch und immer schon. Nur werden sie heute nicht mehr – wie in der Mythologie der griechischen Antike – als Helden geboren. Abstammung und die notwendigen großen Aufgaben – fertig ist der mythologische Held.
Für uns Heutige hat der Stammbaum wenig Einfluss auf heldenhafte Eigenschaften.
Natürlich gibt es genetisches Ausgangsmaterial, die einen sind belastbarer, die anderen weniger belastbar, die einen sind emotional stabiler und die anderen emotional labiler. Das hat durchaus genetische Grundkomponenten.
Aber als Held wird man nicht geboren, sondern man hat, wenn man Glück hat, gute Rahmenbedingungen, wo man sich zum Helden entwickeln kann.
Wie etwa Erziehungspraktiken, dass man in einem Klima der Wärme statt der Kälte, der Gebots-Orientierung statt der Verbots-Orientierung aufwächst. Das heißt, ein Erziehungsmilieu, wo Heldentaten und mutiges und zivilcouragiertes Verhalten gedeihen können.
Und hinzu kommt natürlich auch immer das Prinzip Verantwortung, dass die Menschen gelernt haben von ihren Vorbildern – das kann ein Onkel sein, das kann ein Lehrer sein, ein Nachbar sein – Ich bin zuständig! Ich bin Akteur! Ich bin nicht Beobachter. Statt „Kollege kommt gleich!“, „Irgend jemand wird’s schon richten!“ – „Wenn ich nicht, wer dann?“ Und das ist eine ganz zentrale Sache und so was ist nicht angeboren, sondern in der frühkindlichen Erziehung, später durch Vorbilder, durch Erziehungspraktiken erlernt.
Menschen, die die Natur bezwingen, in große Tiefen tauchen, Kontinente entdecken, oder die als Abenteurer unterwegs waren und sozusagen mit übermenschlicher Kraft in neue Gegenden vorgestoßen sind, werden als Helden bezeichnet.
Wir haben Sporthelden, die neue Rekorde aufstellen, die viel bewundert werden. Aber das hat ja nichts mit Zivilcourage im Alltag zu tun. Wo es um Auseinandersetzungen zwischen Menschen geht. Wenn wir von Zivilcourage reden, dann reden wir im Prinzip über ein couragiertes Verhalten in der zivilen, bürgerlichen und damit demokratischen Gesellschaft von heute.
Nach unseren gängigen Standards wäre eine Heldentat, wenn ich mich in eine Gefahrensituation begebe, mich aus einer Minderheitenposition heraus einsetze für Menschenwürde, Selbstbestimmtheit, für demokratische Grundsätze, für Fairnessprinzipien.
Schon die sperrigen Wörter lassen es vermuten:
Heldentaten von heute verbreiten nicht mehr den Glanz früherer Drachentöter. Ganz im Gegenteil, meint Dieter Frey, oft finden Helden von heute, die Menschen mit Zivilcourage, die mutigen Alltagshelden überhaupt keine öffentliche Anerkennung.
„Wenn ich nicht, wer dann?“ Diese Grundhaltung steckt in allen Heldentypen.
Nur wodurch wird diese beherzte Haltung ausgelöst? Haben Alltagshelden einfach ein rundum besseres Gespür für Ungerechtigkeit? Sind sie am Ende ganz schlicht die besseren Menschen?
Also Alltagshelden sind nicht automatisch bessere Menschen. Man sollte sich auch davor hüten, Courage, Zivilcourage als eine besondere Fähigkeit zu beschreiben, die den besseren Menschen ausmacht und wir alle bessere Menschen werden sollten. Sondern verschiedene Untersuchungen zeigen, dass das besondere Prägungen sind von Menschen, die etwas erlebt haben, was sie geprägt hat. Weswegen sie dann auch nicht immer als couragierte Menschen auftreten, in jeder Situation, sondern in Situationen, die ihnen spezifisch sind. Also es sind meistens Menschen, die ein Thema haben oder Anlässe aus ihren Erfahrungen heraus haben, bei denen bei ihnen die Lampe aufleuchtet, sozusagen „Oh, hier muss ich was tun!“.
Wolfgang Heuer, Politologe und Dozent an der Freien Universität in Berlin, kam zu diesem Ergebnis, als er für sein facettenreiches Buch „Couragiertes Handeln“ Feldforschung betrieb und Lebensberichte von Menschen sammelte. Und zwar in der ehemaligen DDR – kurz nach der so genannten „Wende“.
Was mir aufgefallen war, so Heuer, dass sehr viele, von denen ich erwartet hatte, dass sie aus politischen oder aus rationalen Erwägungen heraus sich anders verhalten, als es jeweils in der Schule oder in der Gesellschaft, oder im Beruf verlangt wurde, dass die sehr früh ein Verhalten entwickelt haben – aufgrund des Elternhauses, aufgrund der Auseinandersetzung in der Schulklasse, aufgrund einer Missachtung im Studium, je nachdem in unterschiedlichen Phasen des Lebens – eine Position entwickelt haben, gesagt haben „Da mach ich nicht mit!“, oder „Ich bin gefordert!“ Vor allem im Elternhaus „Ich bin gefordert Position zu beziehen!“. Und dadurch ist so eine Art Habitus entstanden, bei gewissen Umständen und Situationen zu sagen „Nein, das geht nicht! Das mach ich nicht. Ich mach das anders! Ich entscheide mich anders.“
Es gibt verschiedene Haltungen, die sich entweder mehr auf eine Fürsorge für andere beziehen, oder auch mehr auf ein Herstellen eines inneren Gleichgewichtes, weil sie so viele Erniedrigungen erlebt haben, sich selber gegenüber, oder auch Personen, die sie sehr gemocht haben.
Trotzdem – meint der Sozialpsychologe Dieter Frey – muss zu so einer Disposition, die wie eine „Empörung auf Knopfdruck“ funktioniert, immer noch etwas anderes hinzukommen:
Nämlich der Optimismus „Ich kann was verändern!“. Nicht nur ich kann, ich muss was verändern, auch wenn die Wahrscheinlichkeit gering ist. Und das zeichnet ja gerade dieses heldenhafte Verhalten aus, dass man sagt – auch wenn alle Menschen dieser Welt sagen, man kann nichts dagegen machen – ich will was tun! Sie sind begrenzt Optimisten, weil sie nach der Devise handeln „Wer nicht kämpft hat verloren. Wer kämpft kann verlieren“. Also es läuft auch auf so eine optimistische Grundtendenz hinaus „Yes, we can!“ oder „Yes, I can!“.
Wir sind für unser eigenes Handeln zuständig und das heißt, tendenziell sind wir alle immer wieder gefordert mutig zu sein.
Getreu der bald 250 Jahre alten Forderung des Philosophen Immanuel Kant „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“, die zum Motto der Aufklärung wurde.
Das heißt: Keine Ehrfurcht vor Hierarchie, sondern Respekt vor Menschen, vor meinem Gegenüber.
Das heißt auch: ich traue mich eigenständig zu denken und der nächste Schritt wäre auch, dem entsprechend öffentlich zu handeln.
Unsere Wirtschaft würde noch erfolgreicher sein, wenn wir in der Art der Mitarbeiterführung das Kantsche Prinzip umsetzen würden.
Sei mündig! Bediene dich deines eigenen Verstandes! Widerspreche auch der Hierarchie! Aber das ist immer auch damit verbunden, dass die Leute nicht weggucken und sagen „Ich hab meine eigene Meinung, aber die behalt ich für mich!“. Sondern dass sie sich klar positionieren. Und damit auch eine Chance haben für eine Kultur des guten Arguments.
Insofern sind die Helden sehr oft wie die Erfinder, die auch sagen, es stört mich nicht, Zwei plus Zwei ist eben Fünf minus Eins.
Das heißt, die gehen einen ganz anderen Weg und sie setzen sich meistens durch, auch wenn sie ganz viele Misserfolge haben. Und die Helden gehören eben auch zu diesen Leuten, die sagen, nicht nur wir müssen etwas dagegen tun, sondern ich muss etwas dagegen tun. Und ich will was dagegen tun!
Der Held, der mutige Mensch – glorreich und selten wie antike Heldengestalten soll er heute also nicht mehr sein. Eher selbstverständlich – wie schon das Wort „Zivilcourage“ anklingen lässt – eine Tugend mitten in unserer zivilen Gesellschaft. Eine, die jedem Bürger nach seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten zur Verfügung steht.
Aber man kann Zivilcourage nicht theoretisch lernen. Das geht auch zurück bis auf Aristoteles und Platon, die das in der Antike schon beschrieben haben, dass man Tugenden nicht rational erlernen kann, sondern nur durchs praktische Leben.
Wenn Menschen Verantwortung für das Gemeinwesen übernehmen und nicht allein wegen der Karriere, oder des Bankkontos, sondern aus einer Freude, oder einer Verantwortung heraus, etwas an Lebenswertem zu gestalten in der Gesellschaft, was uns allen gut tut. Das sind so Bürgertugenden und -tätigkeiten, die Mut mit einschließen und praktische Vorbilder, die wir brauchen in der Gesellschaft.
Quelle: Gekürzte Textfassung einer Radiosendung vom 5.3.2020, auf BR2 „RadioWissen“, Titel: „Der Held – Mehr als nur ein Mythos?“
Zitiert werden hier Wolfgang Heuer, Politologe und Dozent an der Freien Universität in Berlin und Dieter Frey, Sozialpsychologe und Professor an der Ludwig Maximilian Universität in München.
Die komplette Skript der Sendung ist nachzulesen hier.
Dieser Rundfunk-Beitrag sprach mir einfach aus der Seele…
In diesem Sinne: bleibt dran und – bleibt Helden! Eure Iris