Ein Leben, dessen Hauptzweck das Geldverdienen ist, erschien dem Psychoanalytiker & Philosophen Erich Fromm (1900-1080), als Perversion der menschlichen Existenz. Sein Ideal: Arbeit als „produktives Tätigsein“. Er war ein Verfechter eines „nicht entfremdeten“ humanen Lebens. Detailliert erläutert er das u.a. in seinem Werk „Haben oder Sein“ (1976).
Für Fromm ist das Entscheidende, was den Menschen von den höheren Säugetieren unterscheidet, seine Fähigkeit zur Freiheit. Und die kommt, aus seiner, wie er es nennt: biologischen Nichtfestgelegtheit. Heißt: Wir können unser Handeln bewusst reflektieren und haben dadurch im Gegensatz zu allen anderen Lebewesen eine Vielzahl von Wahl- bzw. Entscheidungsmöglichkeiten.
Ein Kernfrage Fromms war: Warum sich Menschen in bestimmten Situationen unterworfen haben, ihre Freiheit nicht genutzt haben, nicht produktiv umgegangen sind mit der Freiheit.
Er kommt zu dem Schluss, dass dies ganz entscheidend daran liegt, dass der Mensch quasi erst lernen muss, diese Freiheit zu leben. Sprich, die Möglichkeit zu bewussten eigenen Entscheidungen auch sinnvoll zu nutzen ;-). Und wenn man das Handwerk der Freiheit nicht gelernt hat, so Fromm, dann wird einem dieses Alleinstellungsmerkmal der biologischen Nichtfestgelegtheit gewissermaßen zum Verhängnis. Denn:
Freiheit, Selbstbestimmung, die hehren Möglichkeiten des menschlichen Seins, wecken nicht nur Freude und Erleichterung, sondern auch diffuse Ängste vor Veränderungen und ungeahnten Risiken.
Fromm vertritt die Ansicht: Nur wer sich mit diesen unangenehmen Gefühlen produktiv auseinandersetzt, hat die Chance des Wachstums – seines persönlichen inneren Wachstums.
Der moderne Mensch verkörpert für Fromm einen besonderen Menschentyp. Er nennt ihn den „Marketingcharakter“. Dieser hat sich ganz konträr zur Idealvorstellung von Fromm – und übrigens auch von Karl Marx entwickelt.
Dazu Marx: „Das Lebensprinzip der menschlichen Natur besteht primär in diesem Bedürfnis des Menschen seine Wesenskräfte in der Welt zu verwirklichen“
Bei der Marketingorientierung aber steht der Mensch seinen eigenen Kräften als einer ihm fremden Ware gegenüber. Er ist nicht mit ihnen eins. Vielmehr treten sie ihm gegenüber in einer Rolle auf. Denn es kommt nicht mehr auf seine Selbstverwirklichung durch ihren Gebrauch an, sondern auf seinen Erfolg bei ihrem Verkauf.
Beides, die Kräfte und das was sie hervorbringen, sind nichts Eigenes mehr, sondern etwas, das andere beurteilen und gebrauchen können. Daher wird das Identitätsgefühl ebenso schwankend, wie die Selbstachtung. „Ich bin so, wie ihr mich wünscht.“
Was Marx als „Wesenskräfte des Menschen“ bezeichnete korrespondiert mit Fromms Begriff der „Produktivität“: Produktivität bedeutet, dass der Mensch sich selbst als Verkörperung seiner Kräfte und als Handelnder erlebt. Dass er sich mit seinen Kräften eins fühlt und dass sie nicht vor ihm verborgen und ihm entfremdet sind.
Der moderne Mensch ist nach Fromm in hohem Maße gesellschaftlich abhängig – auch wenn es ihm oft gar nicht bewusst wird: Er kauft irgendwelche Dinge und meint, dass er das selbst entschieden hätte. Und merkt gar nicht, dass er dabei eigentlich unmittelbar Teil einer ökonomischen Abhängigkeitsbeziehung ist.
In seinem Buch „Haben oder Sein“ (Leseprobe) hat Fromm u.a. heraus gearbeitet, dass der Kapitalismus in seiner späten Form, dem „Konsumkapitalismus“, immer stärker dieses „Haben“ betont. Und das sieht er im Widerspruch zu dem „Sein“, das radikal danach fragt: „Was tut mir gut? Was tut meiner Seele gut? Was tut meinem Körper gut?“ und „Wie kann ich Zugang finden, mich so in die Gesellschaft einzubringen?“ Also die Form eines Sich-seiner-Selbst-bewussten-Seins.
Dabei, so Fromm, ist der Mensch nicht nur von der Profitgier – „vom Haben wollen“ – getrieben, sondern vor allem auch von der Befürchtung nicht anerkannt zu werden.
Fromm: „Für uns hat doch der Wert sehr viel zu tun mit dem Profit. Wenn etwas keinen Profit bringt, dann ist es auch nichts wert. Das hängt gar nicht damit zusammen, dass die Menschen unserer Gesellschaft so profitgierig sind (…), sondern der Profit ist eigentlich nur die Rechenschaft darüber, ob ich richtig funktioniert habe. Wenn ich keinen Profit habe, heißt das, ich habe versagt. Und das ist das, wovor jeder Angst hat.“ (siehe dazu auch den Beitrag in diesem Blog „Knock-out-Kriterium ‚Unwirtschaftlichkeit‘„)
Die Ablenkung des Menschen von seinen wahren Bedürfnissen durch die Massenmedien, die Unterhaltungs- und Freizeitindustrie hat – so Fromm – Individuum und Gesellschaft krank gemacht.
Fromm: „Wenn ich glaube, dass die Ursache der Krankheit einer Gesellschaft ökonomischer oder geistiger oder psychologischer Art sei, dann glaube ich natürlich auch, dass die Beseitigung dieser Ursachen zur Gesundung führe. Wenn ich dagegen sehe, wie die verschiedenen Aspekte miteinander in Wechselwirkung stehen, werde ich zu dem Schluss kommen, dass man die geistige und seelische Gesundheit nur erreichen kann, wenn man gleichzeitig im Bereich der industriellen und politischen Organisation, auf dem Gebiet der geistigen und weltanschaulichen Orientierung, der Charakterstruktur und der kulturellen Betätigung Veränderungen vornimmt.“
Gewiss ein Idealvorstellung. Aber er steht mit seinen Postulaten nicht allein ;-)!
Und so kann ich mich nur folgendem Zitat Fromms anschließen: „Ich schreibe ja sehr klar, dass ich die Aussichten für fast hoffnungslos halte. Fast alle Argumente sprechen dafür, dass wir so weiter machen und in die Katastrophe schlittern. Ich sage aber auch: Solange noch in Fragen des Lebens eine kleine Chance besteht, sagen wir von 1 oder 2 %, solange darf man nicht aufgeben.“
Dieser Beitrag wurde auf Basis einer BR2 RadioWissen-Sendung vom 30.07.14 erstellt. Titel: „Erich Fromm – Vordenker für eine humane Gesellschaft.“ Zum Nachhören geht’s hier.
Bleibt menschlich :-)!
Iris